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Glossar

von Lena Ziegenhagen und Dr. Nadine Seddig

Wenn Jugendliche #mitbewegen, bewegt sich was!

Demokratieförderung und Jugendpartizipation im Sport

Ayleen ist 15 Jahre alt und besucht die 9. Klasse. Die Corona-Pandemie hat bei ihr große Lernlücken hinterlassen und der tägliche Schulstress belastete sie sehr. In dieser schwierigen Zeit zog sie sich zurück und verbrachte kaum Zeit draußen. Doch durch ein Sportprojekt eines sozialen Trägers für ambulante Kinder- und Jugendhilfe in ihrem Stadtteil änderte sich alles. Das Ziel des Sportprojektes war es, Jugendliche im Stadtteil von der Straße zu holen und Jugendlichen eine Beschäftigungsperspektive für ihren Alltag zu ermöglichen.

Dr. Nadine Seddig

DFL Stiftung

Dr. Nadine Seddig leitet die Programme und das Fördermanagement der DFL Stiftung. Dort beschäftigt sie sich die Erziehungswissenschaftlerin strategisch mit Fragen zum gesunden und aktiven Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sowie dem gesellschaftlichen Miteinander und der Rolle des Sports. Ihre Expertise liegt im Bereich Bildung, Kinderarmut und soziale Ungleichheit.

Ayleen entdeckte durch das Projekt nicht nur den Sport für sich, sondern fand auch neue Freunde. Seitdem geht es langsam bergauf. Sie nimmt zweimal wöchentlich an den Aktivitäten teil und beschreibt, wie die Betreuenden ihre Meinung einbeziehen und die Angebote so gestalten, dass sie den Jugendlichen Spaß machen. Das gibt ihr das Gefühl, ernst genommen zu werden und motiviert sie, aktiv mitzumachen.

Kinder und Jugendliche wie Ayleen fühlen sich in Deutschland oft von Erwachsenen überhört und nicht ernst genommen – besonders in der Schule, aber auch in der Freizeit und zu Hause. Dabei ist ein Blick in die Zukunft besonders für diese Altersgruppe besorgniserregend: Die Nachwirkungen von Corona, die Inflation, Altersarmut, der Krieg in der Ukraine und Umweltverschmutzung belasten sie besonders. Diese Sorgen führen bei vielen jungen Menschen zu mentalen Belastungen – Ayleens Schulstress ist in diesem Kontext nur eines von zahlreichen Beispielen.

Fragt man Kinder und Jugendliche selbst, was ihnen wichtig ist, betonen viele eine gute physische und psychische Gesundheit sowie ihr Wohlbefinden. Besonders Sport und Bewegung werden als hilfreich benannt, um gesund zu leben und aufzuwachsen (Andresen, Althaus 2023). Die aktuellen Erkenntnisse der SINUS-Studie bestätigen dies: Sport wirkt demnach effektiv gegen Stress. Kinder und Jugendliche wünschen sich, dass alle die Möglichkeit haben, in einem Sportverein aktiv zu sein. Sport und Bewegung sollten für jeden zugänglich und bezahlbar sein. Es müssen Bewegungsräume und -möglichkeiten geschaffen werden, die konkret an die Bedürfnisse der jungen Menschen angepasst sind. Dafür ist es zwingend erforderlich, sie einzubeziehen und als Ratgebende und Mitgestaltende ihres Umfelds zu beteiligen.

Lena Ziegenhagen

Lena Ziegenhagen, DFL Stiftung

Lena Ziegenhagen arbeitet seit 2022 als Projektmanagerin für die DFL Stiftung und ist dort unter anderem für das Thema Jugendpartizipation zuständig. Die studierte Sozial- und Politikwissenschaftlerin befasst sich seit vielen Jahren mit dem Themenfeld Menschenrechte, mit einem besonderen Fokus auf Demokratieförderung und Jugendpartizipation. 

Diese Beteiligung darf nicht nur punktuell sein – es müssen feste Strukturen geschaffen werden, damit Kinder und Jugendliche aktiv mitgestalten können. Ihr Alltag muss dabei Berücksichtigung finden. Treffen sollten deshalb nach der Schule stattfinden und es sollte gesichert sein, wie Kinder und Jugendliche dorthin kommen können – alles andere hätte neben der Schule für viel zusätzlichen Stress gesorgt. Auch Spaß und Motivation spielen eine wichtige Rolle, denn nicht alle wollen sofort mitgestalten. Ayleen hatte anfangs nicht das Gefühl, dass ihr Engagement etwas bewirkt. Erst als sie merkte, dass ihr Mitwirken Spaß macht und die Angebote sich an ihre Bedürfnisse anpassen, wollte sie weiter dabeibleiben.

Das Beispiel von Ayleen zeigt eindrucksvoll, wie wichtig gute Beteiligungs- und Bewegungsangebote für Jugendliche sind. Diese Angebote haben nicht nur positive Effekte auf die physische und psychische Gesundheit, sondern empowern junge Menschen und motivieren sie, sich auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft aktiv einzubringen.

Stiftungen aus dem Sport können als gesellschaftliche Akteure einerseits Möglichkeiten zur Partizipation schaffen, indem sie Kinder und Jugendliche an der internen Stiftungsarbeit beteiligen. Andererseits können sie die Stimme der jungen Menschen in der Gesellschaft stärken, indem sie deren Anliegen sichtbar machen und ihre Relevanz verdeutlichen. In diesem Beitrag stellen wir beispielhaft den Prozess der Mitgestaltung von Jugendlichen in der Arbeit der DFL Stiftung und ihr Wirken für gesellschaftlichen Zusammenhalt vor.  

Jugendbeteiligung bei der DFL Stiftung

Als Stiftung aus dem Profifußball engagiert sich die DFL Stiftung gemeinsam mit starken Partnern und Clubs der Bundesliga und 2. Bundesliga für das gesunde und aktive Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sowie die aktive Teilhabe junger Menschen in Deutschland an einer vielfältigen und solidarischen Gesellschaft. Um Jugendliche dauerhaft in ihre Arbeit miteinzubeziehen und ihnen eine Stimme zu geben, hat die DFL Stiftung im April 2023 einen Jugendpartizipationsprozess gestartet. Seit über einem Jahr werden unterschiedliche Formate der Partizipation gemeinsam mit Jugendlichen erprobt, diskutiert und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Mittlerweile existiert ein festes Jugendgremium – der Next Gen Jugendbeirat. Im Folgenden wird der Prozess vorgestellt und ein Blick auf Learnings sowie Empfehlungen für andere Organisationen geworfen.

  • Der Thementopf #Mitbewegen: Eine Initiative zur Stärkung von Jugendpartizipation
    Um Jugendpartizipation im Sport zu stärken, hat die DFL Stiftung ihre jährliche Fördermittelausschreibung (Thementopf) in 2023 diesem Thema gewidmet. Gesucht wurden Sport- und Bewegungsprojekte, die gemeinsam mit jungen Menschen zwischen 12 und 18 Jahren geplant und umgesetzt werden. Gemeinnützige Organisationen aus Deutschland konnten sich um eine Förderung von bis zu 10.000 Euro bewerben. Ziel war es, entweder ein partizipatives Bewegungsangebot zu schaffen oder ein Sportprojekt von Beginn an gemeinsam mit jungen Menschen zu planen. Die zugrunde liegende Annahme war, dass durch das Einbeziehen der Zielgruppe die Angebote bedarfsgerechter und attraktiver gestaltet werden. Insgesamt wurden 70 Projekte eingereicht, die die Vielfalt der Jugendpartizipation im Sport widerspiegeln – von sehr offenen bis hin zu fokussierten Beteiligungsmöglichkeiten.
  • #Mitbewegen Jugendjury – Entscheidungen von jungen Menschen für junge Menschen
    Dem partizipativen Gedanken folgend hat die DFL Stiftung parallel zur Fördermittelausschreibung eine Jugendjury ins Leben gerufen. Bis zu 15 junge Menschen zwischen 16 und 20 Jahren sollten im Namen der DFL Stiftung die besten Projekte auswählen und Förderentscheidungen treffen. Gesucht wurden Jugendliche aus Deutschland, die sich für die Themen Sport und Partizipation interessieren. Es war keine Voraussetzung, Mitglied in einem Sportverein zu sein oder bereits Erfahrungen in einer Jugendjury zu haben. Die Bewerbung erfolgte über einen Online-Fragebogen und ein kurzes Telefoninterview.
  • Das Workshop-Wochenende: Ein Ort der Begegnung und Entscheidung
    Um den Beteiligungsprozess optimal zu gestalten, wurde ein externer Referent mit Erfahrung in der Arbeit mit jungen Menschen engagiert. Die Jugendlichen kamen aus verschiedenen Bundesländern und mit unterschiedlichen Hintergründen zur DFL Stiftung. Im Fokus standen zunächst das gegenseitige Kennenlernen, das Abfragen von Erwartungen und Teambuilding. Es entstand schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Kriterien für die Bewertung der Projektanträge entwickelt wurden. Am zweiten Tag standen die Bewertung und finale Auswahl der Projektanträge an. In Arbeitsgruppen bewerteten die Jugendlichen jeweils ein Viertel der Projekte anhand der gemeinsam entwickelten Kriterien. Die besten Projekte wurden anschließend gemeinsam besprochen und bewilligt. Insgesamt entschieden die Jugendlichen über eine Fördersumme von 260.000 Euro.
  • Bewertungskriterien der #Mitbewegen Jugendjury
    Ein zentraler Bestandteil des Partizipationsprozesses war die Erarbeitung der Bewertungskriterien, auf deren Basis die Förderentscheidung getroffen wurde. In einem demokratischen Prozess wurden neun Kriterien definiert, die auf einer Skala von 1 bis 6 bewertet wurden. Dazu gehörten Themen wie Nachhaltigkeit, Inklusion, Partizipation als Kern der Ausschreibung, Realisierbarkeit und ein schlüssiger Kosten- und Finanzierungsplan. Ein besonderes Kriterium war der „Herzenseindruck“, der die persönliche, subjektive Einschätzung der Teilnehmenden einfließen ließ. Die Jugendlichen haben die Erarbeitung der Kriterien und die Bewertung der einzelnen Projekte mit großem Interesse, Freude und Verantwortungsbewusstsein durchgeführt.
  • Learnings aus der #Mitbewegen Jugendjury
    Die Arbeit der Jugendjury hat die DFL Stiftung bereichert. Die Diskussionen mit Jugendlichen über aktuelle Herausforderungen im Bereich Sport und Bewegung bestätigten, dass die Ansätze und Projekte der Stiftung in die richtige Richtung gehen. Gleichzeitig wurden neue Impulse gesetzt und bisher weniger beachtete Themen in den Fokus gerückt. Die Jugendlichen schätzten die Möglichkeit, sich einzubringen, und gingen mit großer Sorgfalt und Respekt an die Bewertung der Projektanträge heran. In den Lessons Learned #Mitbewegen Jugendjury wurden die folgenden zentralen Erkenntnisse festgehalten:
    • Starre Vereinsstrukturen sind die größte Hürde für Jugendbeteiligung.
    • Junge Menschen möchten auch im Sport gehört und ernstgenommen werden.
    • Es gibt zu wenige Beteiligungsangebote im Sport für junge Menschen.
    • Jugendliche möchten Angebote, die Freude an Bewegung vermitteln.
    • Leistungsdruck im Schul- und Breitensport führt eher zur Abkehr vom Sport.
    • Angebote sollten flexibel sein und sich am Alltag der Jugendlichen orientieren.

Die Erfahrung aus dem Projekt zeigt: Wer Jugendlichen Vertrauen und Wertschätzung entgegenbringt, erhält gute Ideen, spannende Konzepte und einen besseren Bezug zu den Bedarfen der Zielgruppe.

  • Good Practice: Weitere Beispiele für gelungene Jugendpartizipation
    Insgesamt wurden 30 von 70 Projektanträgen durch die Jugendjury bewilligt. Besonders gut bewertet wurden Projekte, die langfristig angelegt sind, wie das „Youth Empowerment“-Projekt der Amandla gGmbH in Berlin. Mit dem Bau eines eigenen Sportplatzes, dem „Safe Hub Berlin“, wird ein Angebot geschaffen, das den Wünschen und Bedürfnissen junger Menschen entspricht. Durch die Ausbildung von „Deep Democracy Coaches“ aus dem Kiez wird sichergestellt, dass die Jugendlichen aktiv in die Gestaltung und Nutzung des Sportplatzes eingebunden werden. Dieses Projekt stärkt das Verständnis für demokratische Werte und Prozesse und ermöglicht den Teilnehmenden, Selbstwirksamkeit zu erleben.

Ebenfalls sehr gute bewertet wurde das Projekt „Ankerplatz Stade“ vom gleichnamigen Verein. Gemeinsam mit jungen Menschen wird ein zukunftsfähiger Markplatz entworfen und umgesetzt. Zentral ist dabei die Planbude, in der verschiedene, zum Teil auch digitale Beteiligungsangebote umgesetzt werden. So entsteht mitten in Stade ein partizipativer Bewegungs- und Begegnungsort für junge Menschen.

Für die #Mitbewegen Jugendjury zeichnen sich beide Projekte durch eine durchdachte Planung, einen inklusiven Ansatz und den Aufbau nachhaltiger Strukturen für junge Menschen aus.

Wenn alle #mitbewegen, bewegt sich wirklich was!

Die Beispiele von Ayleen und der Partizipationsprozess der DFL Stiftung zeigen deutlich, wie wichtig es ist, Jugendliche aktiv in die Gestaltung ihrer Freizeit und Sportangebote einzubeziehen. Partizipative Projekte fördern nicht nur die physische und psychische Gesundheit junger Menschen, sondern stärken auch ihr Selbstbewusstsein und ihre Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu engagieren. Der Thementopf #Mitbewegen und die Einrichtung der #Mitbewegen Jugendjury sind Modelle, wie Jugendbeteiligung erfolgreich umgesetzt werden kann.

Der Prozess hat so gut funktioniert, dass der DFL Stiftung nun ein festes Gremium von Jugendlichen beratend zur Seite steht – der NextGen Jugendbeirat. Er setzt sich aus jungen Menschen zwischen 16 und 23 Jahren zusammen. Sie bringen die Perspektive von Kindern und Jugendlichen in die Arbeit der DFL Stiftung ein und repräsentieren diese Perspektive im Auftrag der Stiftung öffentlich.

Die Jugendlichen der Jugendjury haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, verantwortungsvoll und reflektiert über die Vergabe von Fördergeldern zu entscheiden, und haben wertvolle Impulse für die Arbeit der DFL Stiftung geliefert.

Um die positiven Effekte von Sport und Beteiligung flächendeckend zu nutzen, ist es essenziell, feste Strukturen zu schaffen, die eine kontinuierliche Mitgestaltung durch Jugendliche ermöglichen. Dies erfordert nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch ein Umdenken in den Organisationen, die Angebote für Jugendliche bereitstellen. Es ist wichtig, ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst zu nehmen und sie als gleichwertige Partner in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Durch diese demokratischen Prozesse wird das gesellschaftliche Miteinander gestärkt und Zukunftssorgen gemindert.

Über die DFL-STIFTUNG

Die DFL Stiftung ist eine bundesweit agierende Förderin aus dem Profifußball für die Gesellschaft. Gemeinsam mit einem starken Netzwerk und eigener Expertise hat sie es sich seit 2008 zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugendliche sowie junge Sporttalente nachhaltig darin zu stärken, ihr Potenzial zu entfalten.

Mit dem Projekt #Mitbewegen setzt sich die DFL Stiftung dafür ein, dass jungen Menschen ihre Lebenswelt mitgestalten können und eine starke, öffentliche Stimme haben. Die Erfahrungen aus dem Projekt können in den Lessons Learned #Mitbewegen Jugendjury nachgelesen werden. 

Take Home Message

Die DFL Stiftung hat mit ihrem Ansatz gezeigt, dass Partizipation von Jugendlichen nicht nur möglich, sondern auch äußerst gewinnbringend ist. Diese Erkenntnisse sollen als Ansporn dienen, ähnliche Modelle in anderen Bereichen und Organisationen im Sport und darüber hinaus zu etablieren. Die Einbindung von jungen Menschen in die Gestaltung ihrer Lebenswelt ist ein wesentlicher Schritt hin zu einer vielfältigen, demokratischen zukunftsfähigen Gesellschaft.

Literaturverzeichnis

Andresen, S./Althaus, N. (2023). Teilhabe und Beteiligung neu denken. Kinder und Jugendliche sprechen mit! Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.

Calmbach, M. et. al. (2024). Wie ticken Jugendliche? SINUS-Jugendstudie 2024. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

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