
Starke Partnerschaft für starke Kinder
Wie die Adolf-Grimme-Schule mit !Respect e.V. Gewaltprävention im Schulalltag verankert
Soziale Arbeit mit Sport und Bewegung als Schlüssel zur Gewaltprävention?
Gewalt ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft – manchmal sichtbar, manchmal verborgen. Aktuell rückt sie wieder stärker in den Fokus, und wir stehen vor der Frage, wie wir ein respektvolles Miteinander gestalten können. Sport wird oft als „Wundermittel“ der Gewaltprävention betrachtet, doch so einfach ist es nicht. Er kann Teamgeist und Fairness fördern, aber auch Aggressionen und Konfliktsituationen verstärken. Entscheidend sind gezielte Konzepte und Strukturen, die Sport und Soziale Arbeit sinnvoll verbinden. In dieser Interviewreihe stellen wir Projekte und Initiativen vor, die genau das tun. Heute im Gespräch mit Jan Lindert und Oliver Henneke von !Respect e.V. sowie Birgit Geyer, Schulleiterin der Adolf-Grimme-Schule in Barsinghausen.

Der Verein !Respect e. V.
Der Verein !Respect e. V. engagiert sich seit 2016 für die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen in der Grundschule. Mit dem pädagogischen Schwerpunkt auf Respekt, Achtsamkeit, Teamfähigkeit und Konfliktlösung hat !Respect mit !SocialSkills ein praxisnahes Programm entwickelt, das Kinder frühzeitig in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stärkt und das soziale Miteinander in Schulen nachhaltig fördert.
Jan Lindert ist Geschäftsführer von !Respect e. V. und verantwortet aus der Kölner Geschäftsstelle die Bereiche Projektplanung, Fördermittelmanagement und Organisation. Der Diplom-Kaufmann bringt langjährige Erfahrung aus dem Fundraising und der Arbeit in gemeinnützigen Organisationen mit.
Oliver Henneke ist Mitgründer und Cheftrainer von !Respect e. V. und seit 2008 als Konflikttrainer im Bereich sozial-emotionales Lernen tätig. Er hat Sport- und Wirtschaftswissenschaften studiert und in zahlreichen Schulprojekten mit dem Ansatz „Mit Spiel, Spaß und Bewegung zu einem respektvollen Miteinander“ gearbeitet.
Birgit Geyer leitet die Adolf-Grimme-Schule in Barsinghausen, eine wachsende Grundschule in der Region Hannover. Seit über zehn Jahren arbeitet die Schule mit !Respect e.V. zusammen, inzwischen sind die Programme fest im Schulprofil verankert. Seit Kurzem ist die Schule Teil des bundesweiten Startchancen-Programms.
Das Programm: !SocialSkills
Die Zielgruppe umfasst Schüler:innen der Klassen 1 bis 4 sowie Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeitende. Darüber hinaus richtet sich das Angebot auch an Eltern und Erziehungsberechtigte. Das Programm setzt auf bewegtes und handlungsorientiertes Lernen, bei dem unter anderem Kooperationsaufgaben, Rollenspiele und Reaktionsübungen zum Einsatz kommen. Ein weiterer zentraler Bestandteil sind Konfliktlösungsübungen, die auf Alltagssituationen zugeschnitten sind. Ergänzend dazu werden sogenannte Stopp-Regeln vermittelt, die als Deeskalationswerkzeug dienen. Ziel ist es außerdem, Empathie, Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit bei den Teilnehmenden zu fördern.
Evaluation
!SocialSkills wurde wissenschaftlich evaluiert und vom Landespräventionsrat Niedersachsen in die Grüne Liste Prävention aufgenommen. Die Ergebnisse zeigen: Das Klassenklima verbessert sich deutlich, die soziale Integration nimmt zu und das Selbstkonzept der Schüler:innen wird gestärkt.
Weitere Informationen zu Programmbestandteilen und Zielen unter !SocialSkills - !Respect
Frau Geyer, Sie leiten die Adolf-Grimme-Schule in Barsinghausen. Warum ist es Ihnen wichtig, dass Thema Gewaltprävention an ihrer Schule im Blick zu haben?
Birgit Geyer: Weil wir in unserem Schulalltag einen ganz konkreten Bedarf sehen, auch wenn das nicht immer nach außen sichtbar ist. Unsere Schule ist bunt, vielfältig, mit einem hohen Inklusionsanteil und vielen Kindern, die sprachliche und soziale Unterstützung benötigen. Wir haben kein akutes Gewaltproblem, weil wir ganz bewusst auf Prävention setzen. Denn es geht uns darum, frühzeitig ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren und dabei die Grenzen anderer respektieren zu können. Programme wie !SocialSkills bieten dafür wertvolle Impulse. Sie vermitteln nicht nur Strategien im Umgang mit Konflikten, sondern fördern und üben ein respektvolles Miteinander – eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt lernen zu können.
Oft ist Außenstehenden nicht klar, wie Gewaltprävention in der Praxis funktioniert. Oliver und Jan, könnt ihr uns einen Einblick geben, wie euer Programm !SocialSkills konkret funktioniert? Was passiert, wenn Schulen mit euch zusammenarbeiten?
Oliver Henneke: Wir arbeiten gezielt mit Spiel- und Bewegungselementen, um die sozial-emotionalen Kompetenzen von Kindern zu stärken. Unser Ansatz richtet sich vor allem an Grundschulen, weil wir dort die Grundlagen für ein respektvolles Miteinander legen können. In drei aufeinander aufbauenden Trainingseinheiten à 90 Minuten arbeiten wir mit den Kindern in ihrer Klasse an Themen wie Empathie, Teamfähigkeit, Selbstwahrnehmung und Konfliktfähigkeit. Dabei setzen wir bewusst auf das Prinzip „Erleben durch Handeln“. Kinder sollen in Bewegung kommen, Erfahrungen machen, miteinander agieren. Denn über Bewegung lassen sich viele Dinge besser und nachhaltiger verinnerlichen – gerade für Kinder, die sprachlich noch unsicher sind oder in klassischen Unterrichtssettings schnell überfordert sind. Wir nutzen Übungen, die den Kindern ganz konkret helfen, sich selbst und andere besser wahrzunehmen, Grenzen zu setzen, Rücksicht zu nehmen, mutig zu sprechen, aber auch zuzuhören. Es geht also nicht allein um Gewaltprävention im engen Sinn, sondern um eine breit angelegte Förderung sozial-emotionaler Fähigkeiten – die wiederum die Grundlage dafür sind, Konflikte überhaupt frühzeitig zu erkennen und gut lösen zu können.
Jan Lindert: Und unser Blick geht dabei über die Kinder hinaus. Wir wollen mit dem Programm nicht nur punktuell arbeiten, sondern langfristige Wirkung entfalten. Deshalb beziehen wir das gesamte System Schule mit ein: Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte und auch Eltern. Zu jedem Projekt gehört zum Beispiel auch ein Informationsabend für Eltern, damit das, was im Klassenraum geschieht, auch zu Hause anschlussfähig wird. Außerdem stellen wir den Schulen nicht nur die Trainer:innen, sondern die Schulen erhalten auch ergänzende Materialien, Erklärvideos, ein digitales Schulungsportal und auf Wunsch Fortbildungsformate. Ziel ist, dass soziale Lernprozesse nicht bei der Projektdauer enden, sondern im Schulalltag weitergetragen werden. Gewaltprävention braucht Kontinuität und das versuchen wir strukturell zu unterstützen.

Ihr hattet es gerade schon kurz angeschnitten und das ist ja ein sehr wichtiger Punkt, vorallem für unser Themenfeld. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal gezielt nachfragen: Das Konzept von !Respect beinhaltet viele Spiel- und Bewegungsangebote. Warum sind gerade Spiel und Bewegung so wertvolle Ergänzungen in der pädagogischen Arbeit und insbesondere in der Arbeit mit Grundschulkindern?
Oliver Henneke: Ich möchte das gern etwas ausführlicher erklären, auch mit Blick auf die aktuelle Situation an vielen Grundschulen: Bewegung ist eine Sprache, die jedes Kind versteht – unabhängig von Herkunft, Sprachstand oder kognitiver Entwicklung. Gerade im Grundschulalter stoßen wir mit rein verbaler Vermittlung schnell an Grenzen. Viele Kinder haben Mühe, sich länger zu konzentrieren, einige sprechen kaum oder gar kein Deutsch, andere sind von der Komplexität des Schulalltags überfordert. Über Spiel und Bewegung erreichen wir sie auf einer ganz anderen Ebene – körperlich, emotional, sozial. Dabei geht es nicht nur ums „sich Austoben“. Unsere Übungen sind so gestaltet, dass Kinder soziale Rollen erproben, Grenzen spüren, Rücksicht nehmen und Kooperation erleben. Im gemeinsamen Spiel erfahren sie unmittelbar, was Fairness bedeutet. Sie begreifen Regeln körperlich und lernen Verantwortung zu übernehmen, sich einzubringen oder auch sich zurückzunehmen. Diese Erfahrungen wirken nachhaltiger als jede theoretische Belehrung. Das spiegelt sich auch in den Rückmeldungen vieler Schulen: Wir brauchen Formate, die nonverbal funktionieren und Kinder mit verschiedensten Kommunikationsniveaus zusammenbringen. Und genau das leisten Spiel und Bewegung. Wir als Trainer:innen begleiten sie lediglich dabei, soziale Kommunikation über Handlungen zu üben und helfen ihnen Brücken zu bauen, bis sie Konflikte und Emotionen auch sprachlich ausdrücken können.
Wenn Kinder lernen, Konflikte eigenständig, respektvoll und konstruktiv zu lösen, führt das zu einer ruhigeren Lernatmosphäre, zu entspannteren Pausen und letztlich zu einem stressfreieren Schulalltag für alle. Für mich als Schulleiterin ist das auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung und Entlastung des Kollegiums
Bei Programmen wie !SocialSkills interessieren mich immer besonders die verschiedenen Perspektiven. Ihre Rolle als Schulleiterin ist da natürlich besonders spannend. Sie kooperieren seit mehreren Jahren mit !Respect. Warum und was schätzen Sie daran besonders?
Birgit Geyer : Was uns immer wieder überzeugt, ist die hohe Professionalität der Trainer:innen. Sie bringen eine enorme Fachlichkeit mit und begegnen den Kindern auf Augenhöhe. In ihrer besonderen Rolle eröffnen sie Räume, in denen Kinder sich anders erleben und zeigen können als im klassischen Unterricht. Fähigkeiten wie Empathie, Kommunikationsvermögen oder Konfliktlösung treten dabei stärker in den Vordergrund – Aspekte, die in Fächern wie Mathematik oder Deutsch weniger relevant sind. Sozialtrainings tragen zur persönlichen und sozialen Entwicklung der Kinder bei und helfen unseren schulischen Bildungsauftrag auf sinnvolle Weise zu erfüllen. Aber auch unser Kollegium profitiert davon: Wir erhalten neue Impulse und ermöglichen uns einen Perspektivwechsel. Nicht zuletzt wird auch der eigene, pädagogische Alltag spürbar entlastet. Wenn Kinder lernen, Konflikte eigenständig, respektvoll und konstruktiv zu lösen, führt das zu einer ruhigeren Lernatmosphäre, zu entspannteren Pausen und letztlich zu einem stressfreieren Schulalltag für alle. Für mich als Schulleiterin ist das auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung und Entlastung des Kollegiums.

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit solcher Projekte: Wie gelingt es Ihnen an der Schule, die Impulse aus den !Respect-Trainings langfristig im Alltag zu verankern? Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, dass Personal wechselt, Kinder die Schule verlassen und jedes Schuljahr neue Konstellationen mit sich bringt? Das stelle ich mir ganz schön schwierig vor.
Birgit Geyer: Das ist tatsächlich eine unserer größten Herausforderungen. Denn eines steht fest: Ein einmaliges Projekt reicht nicht aus. Um Konflikten und Gewalt langfristig präventiv begegnen zu können, braucht es fest verankerte Strukturen im Schulalltag. Wir nutzen dafür unter anderem das umfangreiche Material von !Respect – etwa die digitalen Übungen, Erklärvideos oder Fortbildungsimpulse. Gleichzeitig ist an dieser Stelle zu betonen, dass Materialien allein nicht genügen. Entscheidend ist der persönliche Kontakt: Trainer:innen, die auf Kinder eingehen, sie für soziale Situationen sensibilisieren und sie dabei unterstützen, Konflikte eigenständig lösen zu können. Gerade an Grundschulen, wo jährlich neue Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen eingeschult werden, ist das unerlässlich. Soziales Lernen ist kein abgeschlossener Prozess. Dieser Bereich verändert sich ständig – mit jedem neu eingeschulten Kind und jeder gesellschaftlichen Veränderung. Deshalb ist für uns klar: Die Zusammenarbeit mit Externen wie dem Verein !Respect e.V. ist unverzichtbar. Mehr noch, wir wünschen uns, diese Kooperationen weiter auszubauen. Denn sie stärken unsere Schulkultur nachhaltig und wirken sich spürbar positiv auf unseren Schulalltag aus.
Wenn wir über den Ausbau solcher Programme sprechen, rückt natürlich auch das bildungspolitische Umfeld in den Fokus. Ein Beispiel dafür ist das Startchancen-Programm – ein bundesweites Förderprogramm, das besonders Schulen mit herausfordernden Rahmenbedingungen gezielt unterstützen soll. Frau Geyer, Sie leiten eine dieser Schulen. Wie erleben Sie die Umsetzung dieses Programms bislang in der Praxis?
Das Startchancen-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist ein gemeinsames Vorhaben von Bund und Ländern zur Förderung von Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. Mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem Gesamtvolumen von rund 20 Milliarden Euro stellt es das bisher umfangreichste Bildungsprogramm in der Bundesrepublik Deutschland dar.
Ziel ist es, durch gezielte Maßnahmen die Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft zu verbessern. Etwa 4.000 Schulen sollen bedarfsgerecht unterstützt werden, wobei der Fokus auf der Förderung grundlegender Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen liegt.
Die Umsetzung erfolgt über drei Programmsäulen: Investitionen in eine zeitgemäße Lernumgebung, individuelle Chancenbudgets zur Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie die Stärkung multiprofessioneller Teams durch zusätzliches Personal. Das Programm wird wissenschaftlich begleitet und durch eine digitale Transferplattform ergänzt, um die Umsetzung und Weiterentwicklung zu unterstützen.
Weitere Informationen: Startchancen-Programm - BMBF
Birgit Geyer: An unserer Schule haben wir umgehend eine Steuergruppe zur Umsetzung des Startchancen-Programm an der Schule eingerichtet und Vorbereitungsarbeit geleistet. Dennoch warten wir weiterhin auf grundlegende Informationen. Zwar handelt es sich beim Startchancen-Programm um ein Bundesprogramm, doch die konkrete Ausgestaltung liegt bei den Ländern und hier zeigen sich strukturelle Unterschiede: Kolleg:innen aus anderen Bundesländern berichten Positives, aber die Unterschiede in der Umsetzung sind erheblich. Einzelne Mittel konnten wir bereits vorab nutzen, um erste Maßnahmen anzustoßen, aber uns ist ein tragfähiges Gesamtkonzept für die Schule wichtig. Das Potenzial des Programms ist enorm: Für Schulen wie unsere wäre es eine erhebliche Entlastung, wenn langfristige Förderstrukturen, wie z.B. das Projekt !SocialSkills über das Startchancen-Programm sicher finanziert und durchgeführt werden könnte. Dann könnten wir uns statt um die Finanzmittelaquise wieder stärker auf die pädagogische und schulische Arbeit konzentrieren. Dies würde den Kindern zugutekommen und darauf kommt es letztlich an. Wichtig ist, dass Programme wie das Startchancen-Programm nicht auf dem Papier existieren, sondern wirksam vor Ort ankommen.
Oliver Henneke: Ich möchte unsere Perspektive als Projektträger ergänzen: Wenn das Startchancen-Programm bundesweit greift, müssen auch wir als durchführende Organisation mitgedacht und informiert werden, idealerweise im Dialog, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Denn der Bedarf ist enorm, das sehen wir an der Vielzahl der Schulen, die bereits jetzt mit Anfragen auf uns zukommen. Bisher war oft die Finanzierung die größte Hürde. Wenn diese nun erleichtert wird, ist das ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig stehen auch wir vor Herausforderungen – insbesondere dem Fachkräftemangel. Um Programme wie !SocialSkills umsetzen zu können, brauchen wir ausreichend qualifiziertes Personal. Deshalb ist es umso wichtiger, die organisatorischen Rahmenbedingungen praxistauglich zu gestalten. Eine übermäßige Bürokratisierung wäre kontraproduktiv. Die Antragstellung muss einfach und effizient sein, ohne dass die inhaltliche Qualität leidet. Denn unser Ziel ist und bleibt: möglichst viel wertvolle, direkte Zeit mit den Kindern zu verbringen. Wenn ein Großteil der Ressourcen in Formulare und Berichtspflichten fließt, bleibt das pädagogische Potenzial auf der Strecke. Das würde dem Anspruch eines solch umfassend gedachten Förderprogramms nicht gerecht werden.
Sozial-emotionales Lernen betrifft nicht nur Schulen in herausfordernden Lagen. Auch in kleinen, ländlichen oder strukturell gut ausgestatteten Schulen begegnen Kinder Konflikten, Belastungen oder emotionalen Herausforderungen. Der Bedarf ist flächendeckend – nicht punktuell.
Das Startchancen-Programm soll also den Zugang zu Fördermitteln künftig erleichtern und langfristig sichern. Aber viele Schulen befinden sich noch in einer Übergangsphase oder gehören gar nicht zum Programm und sind weiterhin auf die klassischen, oft komplexen Förderstrukturen angewiesen. Besonders interessant finde ich daher, dass ihr bei !Respect nicht nur Programme wie !SocialSkills durchführt, sondern Schulen auch aktiv bei der Mittelbeantragung unterstützt. Warum habt ihr diesen Bereich aufgebaut und wie genau sieht das in der Praxis aus?
Jan Lindert: Wir haben in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass viele Schulen zwar großes Interesse an unseren Programmen haben, die Umsetzung aber oft an der Finanzierung scheitert. Der Zugang zu Fördermitteln ist für viele staatliche Einrichtungen schlicht zu kompliziert und zeitaufwendig – vor allem angesichts des ohnehin hohen Arbeitsaufkommens im Schulalltag. Deshalb haben wir uns entschieden, diesen Bedarf aktiv aufzugreifen und als festen Bestandteil von !Respect anzubieten. Konkret heißt das, dass wir so gut es geht versuchen, die Schulen und ihre Fördervereine beim Fundraising zu unterstützen: Wir begleiten sie bei der Recherche und Antragstellung von Fördermitteln mit dem Ziel, den Prozess so einfach und effizient wie möglich zu gestalten. Durch unsere langjährige Erfahrung kennen wir viele der Stolpersteine und können den Weg zur Förderung erleichtern. Denn letztlich geht es darum, dass Programme wie !SocialSkills nicht an organisatorischen Hürden scheitern. Viele Rückmeldungen von Schulen bestätigen uns in diesem Ansatz: Sie schätzen es sehr, dass wir auch in diesem Bereich Unterstützung leisten und damit dazu beitragen, dass soziale Bildungsangebote überhaupt realisiert werden können.
Mit Blick in die Zukunft: Was braucht ihr konkret für eure Arbeit und darüber hinaus? Was braucht es an strukturellen Veränderungen in Schule und Gesellschaft, um ein friedliches Miteinander zu fördern und Kinder nicht nur fachlich, sondern auch in ihrer sozialen und persönlichen Entwicklung bestmöglich auf das Leben vorzubereiten?
Jan Lindert Aus unserer Sicht ist eine verlässliche, langfristige Perspektive entscheidend. Wenn Projekte jedes Jahr neu beantragt und gesichert werden müssen, bindet das erhebliche Ressourcen, sowohl auf Seiten der Träger als auch der Schulen. Unsere Arbeit basiert auf Kontinuität, genau wie nachhaltige Lernprozesse bei Kindern. Eine kontinuierliche, langfristige Zusammenarbeit zwischen Schulen und Programmen wie !SocialSkills ermöglicht überhaupt erst Veränderungen. Dafür braucht es zwei Voraussetzungen: Zum einen mehr qualifizierte Trainer:innen, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Zum anderen eine stabile, möglichst unbürokratische Finanzierung. Wichtig ist uns dabei auch der Hinweis, dass sozial-emotionales Lernen nicht nur Schulen in herausfordernden Lagen betrifft. Auch in kleinen, ländlichen oder strukturell gut ausgestatteten Schulen begegnen Kinder Konflikten, Belastungen oder emotionalen Herausforderungen. Der Bedarf ist flächendeckend – nicht punktuell.
Oliver Henneke: Ergänzend dazu ist es aus unserer Sicht wichtig, Bildung ganzheitlich zu denken. Soziale und emotionale Entwicklung darf nicht als Randthema betrachtet werden. Kinder lernen nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch in Familie, Freizeit und im sozialen Umfeld. Wenn wir gesellschaftlich Resilienz, Empathie und Konfliktfähigkeit stärken wollen, brauchen wir integrierte Bildungsansätze und Rahmenbedingungen, die das ermöglichen. Programme wie !SocialSkills leisten hierzu einen konkreten Beitrag. Sie schaffen Erfahrungsräume, in denen Kinder lernen, sich selbst und andere besser zu verstehen, respektvoll zu handeln und Konflikte konstruktiv zu lösen. Für eine zukunftsfähige Bildungslandschaft sollten solche Ansätze strukturell stärker verankert werden - als fester Bestandteil von Schule, nicht als freiwillige Ergänzung.
Unsere 5 Learnings aus dem Interview
1. Gewaltprävention braucht frühzeitige und kontinuierliche Strukturen
Gewaltprävention sollte nicht erst bei akuten Vorfällen greifen, sondern frühzeitig ansetzen mit verlässlichen Strukturen, die sozial-emotionales Lernen langfristig im Schulalltag verankern. Nur durch regelmäßige Impulse, klare Haltungen und ein gemeinsames Verständnis kann ein Umfeld entstehen, das Respekt und Miteinander fördert.
2. Bewegung schafft Zugang zu sozialem Lernen
Spiel- und Bewegungselemente bieten Kindern die Möglichkeit, soziale Fähigkeiten wie Empathie, Kooperation und Konfliktlösung aktiv zu erleben. Über das Handeln entsteht ein niedrigschwelliger Zugang der die sprachlichen Angebote ergänzt.
4. Soziales Lernen braucht Einbindung auf allen Ebenen
Nachhaltige Veränderung entsteht dort, wo alle Beteiligten – Kinder, Lehrkräfte, pädagogisches Personal und Eltern – einbezogen werden und soziale Lernprozesse strukturell begleitet werden. Nur wenn soziales Lernen Teil des gesamten Schulsystems wird, kann es dauerhaft im Schulalltag bestehen und auf neue Herausforderungen flexibel reagieren.
4. Fördermittelzugang bleibt eine Hürde für viele Bildungseinrichtungen
Der Zugang zu Fördermitteln ist oft mit hohem Aufwand verbunden – besonders für Einrichtungen, die ohnehin stark belastet sind. Unterstützungsangebote, die bei Recherche, Antragstellung und Abwicklung helfen, sind deshalb ein wichtiger Hebel, damit gute pädagogische Ansätze nicht an der Bürokratie scheitern.
5. Sozial-emotionale Entwicklung als Bildungsauftrag verstehen
Fachliche Kompetenzen allein reichen nicht aus, Kinder brauchen ebenso Fähigkeiten wie Teamfähigkeit, Selbstregulation und soziale Orientierung. Ein ganzheitlicher Bildungsansatz stärkt Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und unterstützt sie dabei, Herausforderungen im Schul- wie im Lebensalltag besser zu bewältigen.

Leonie Endewardt ist Sozialarbeiterin und leidenschaftliche Sportlerin mit langjähriger Vereinserfahrung. Seit 2022 engagiert sie sich bei MOBILEE in den Bereichen Positionspapier, Social Media und interne Organisation und steht in engem Austausch mit dem Netzwerk, um vor allem Bedarfe aus der Praxis aufzunehmen.
Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Gewaltprävention im Bereich „Soziale Arbeit mit Sport und Bewegung“, zu dem sie auch ihre Bachelorarbeit verfasste. In diesem Rahmen verantwortet sie die Gewaltpräventionsreihe im MOBILEE MAGAZIN.