MOBILEE Magazin
Glossar

von Leonie Endewardt

Prävention statt Reaktion

Wie Bielefeld United mit einem Schutzkonzept für mehr Sicherheit sorgt

Bielefeld United e.V. wurde 2016 von ehemaligen Fußball-Profis gegründet, um Kinder und Jugendliche durch Sport zu fördern. Der Verein setzt auf eine Mischung aus ehrenamtlichen und hauptamtlichen Fachkräften aus Pädagogik (Soziale Arbeit und Lehramt) sowie Sportwissenschaften. Gewaltprävention und soziale Werte wie Toleranz, Respekt und Fairplay stehen im Fokus. Der Verein bietet vielfältige Trainings und Programme für unterschiedliche Zielgruppen an und engagiert sich unter anderem in der JVA Verl, wo soziale und berufliche Softskills durch Fußball gefördert werden. Ihr jüngster Meilenstein: das umfassende Schutzkonzept.

Bielefeld United I Gewaltprävention: 

schutzteam@bielefeldunited.de 

Gewaltprävention - Bielefeld United

Soziale Arbeit mit Sport und Bewegung als Schlüssel zur Gewaltprävention?

Gewalt ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft – manchmal sichtbar, manchmal verborgen. Aktuell rückt sie wieder stärker in den Fokus, und wir stehen vor der Frage, wie wir ein respektvolles Miteinander gestalten können. Sport wird oft als „Wundermittel“ der Gewaltprävention betrachtet, doch so einfach ist es nicht. Er kann zwar Teamgeist und Fairness fördern, aber auch Aggressionen und Konfliktsituationen verstärken. Entscheidend sind gezielte Konzepte und Strukturen, die Sport und Soziale Arbeit sinnvoll verbinden. In dieser Interviewreihe stellen wir Projekte und Initiativen vor, die genau das tun. Heute im Gespräch mit Robin Roths und Katharina Höcker von Bielefeld United.

Robin Roths ist als Projektleiter für Jugendliche und junge Erwachsene tätig. Mit seinem Hintergrund in der Sportwissenschaft und Bezügen zur Psychologie bringt er wertvolle Perspektiven auf die Arbeit mit jungen Menschen mit.

Katharina Höcker, die als Projektleiterin für Kinder und Familien aktiv ist, ist ausgebildete Sozialarbeiterin und verfügt über umfangreiche Erfahrung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und deren Bezugspersonen. Gemeinsam haben sie mit uns über ihre Projekte, Herausforderungen und bewährte Methoden in der sozialpädagogischen Arbeit mit Sport gesprochen.

Warum ist Gewaltprävention ein zentrales Thema für euch und warum habt ihr euch entschieden, dieses Thema so zentral in eure Arbeit aufzunehmen?

Robin Roths: Gewalt und Konflikte sind leider allgegenwärtig, auch in unseren Arbeitsbereichen wie Kita und vor allem in den Justizvollzugsanstalt (JVAs), in denen wir tätig sind. Unser Verein hat sich von Anfang an darauf fokussiert, sozio-emotionale Kompetenzen zu stärken, und nutzt Sport lediglich als Medium dafür. Wir haben immer schon Aspekte der Gewaltprävention mitgedacht, aber 2022 haben wir uns bewusst entschieden, das Thema gezielt anzugehen. Das hatte mehrere Gründe, unter anderem die Expertise unseres neuen Vorstandmitglieds, der zuvor als Jugendamtsleiter in Bielefeld tätig war. Dadurch sind viele neue Impulse entstanden und wir haben erkannt, dass es wichtig ist, unsere Arbeit in diesem Bereich weiterzuentwickeln und zu vertiefen.

Inwiefern unterscheidet sich denn euer Ansatz von „klassischen Sportangeboten“? Ihr hattet es ja gerade angesprochen: Bewegung als Mittel für soziales Lernen zu nutzen. Wie sieht das in der Praxis aus?

Katharina Höcker: In unseren Angeboten setzen wir nicht auf Leistung, sondern auf Persönlichkeitsentwicklung. „Sport“ dient uns als Werkzeug. Dazu nutzen wir gezielt u.a. kooperative Spiele, bei denen Taktik, Kreativität und Kommunikation gefordert sind – wo also unterschiedliche Kompetenzen abgefragt werden. Außerdem setzen wir Methoden und Techniken ein, in denen sich Gewinner:innen und Verlierer:innen abwechseln, um die Frustrationstoleranz der Teilnehmenden zu trainieren. Ein weiteres Kernelement sind Reflexionsgespräche: Sitzkreise am Anfang und Ende jeder Einheit sind fester Bestandteil unserer Angebote, in denen wir gemeinsam mit den Teilnehmenden ihre Erlebnisse reflektieren und besprechen – vor allem auch Konfliktsituationen, wenn sie entstehen.

Unser Ziel ist nicht, sportliche Höchstleistungen zu fördern, sondern sozio-emotionale Kompetenzen zu stärken. Sport ist dabei nur das Mittel – es geht um Kommunikation, Teamarbeit und die Fähigkeit, mit Frustration umzugehen.

Wie arbeitet ihr konkret im Bereich Gewaltprävention? Euer Ansatz umfasst sowohl präventive Maßnahmen als auch Angebote für Betroffene. Wie genau gestaltet sich das?

Robin Roths: Wir arbeiten vorrangig präventiv, damit es gar nicht erst zu Gewalttaten kommt. Unsere Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse richten sich vor allem an Kinder, Mädchen und Frauen, damit sie lernen, sich zu schützen und selbstbewusst aufzutreten. Gleichzeitig haben wir Angebote wie den „BiU-Cup“, bei dem über 100 Jugendliche teilnehmen. Hier setzen wir auf klare Regeln: Jede Form von Gewalt, sei sie verbal oder körperlich, wird nicht akzeptiert. Stattdessen lernen die Jugendlichen, aufkommende Konflikte friedlich zu lösen und werden nicht für Tore, sondern für Fair Play oder besonders soziales Verhalten ausgezeichnet.

Und im Bereich Personal: Wie stellt ihr sicher, dass eure Übungsleiter:innen und Mitarbeitenden gut vorbereitet sind, wenn sie mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten? Gibt es spezielle Schulungen?

Katharina Höcker: Ja, alle unsere Übungsleitenden erhalten eine Sensibilisierungsschulung vom LSB, die Themen wie Gewaltprävention im Sport, Täter:innen-Strategien und Aufmerksamkeitsmaßnahmen umfasst. Unser Team ist außerdem bewusst multiprofessionell aufgestellt. Bei uns arbeiten zum Beispiel Sozialpädagog:innen mit Studierenden aus dem Sport- und Lehramtsbereich zusammen. Darüber hinaus haben wir Fachkräfte mit Spezialisierung in Gewaltprävention sowie Selbstverteidigung. Dadurch haben wir viele verschiedene Kompetenzen im Verein vertreten und können uns gegenseitig unterstützen. Ein zentraler Bestandteil von Bielefeld United ist die jährliche, verpflichtende Fortbildung des Teams, bei der ein spezifisches Schwerpunktthema behandelt und die Fachkompetenz gezielt erweitert wird.

Euer neuster Meilenstein: Ein Schutzkonzept für euren Verein. Auslöser hierfür war hier ja u.a. das Landeskinderschutzgesetz in NRW (siehe Infokasten). Ihr seid ja kein klassischer Sportverein: Wie seid ihr damit umgegangen und welche Herausforderungen gab es?

Robin Roths: Als wir mit dem Prozess begonnen haben, gab es für unsere Strukturen wenig Orientierungshilfen. Klassische Sportvereine haben meist feste Standorte und Mitglieder, während wir eher mobil und projektbasiert arbeiten – z. B. in Schulen oder JVAs. Das bedeutete, dass wir ein Schutzkonzept entwickeln mussten, das auch für wechselnde Gruppen und Übungsleitende funktioniert. Da wir kaum passendes Material fanden, haben wir den Lösungsprozess selbst gestaltet, der nicht nur uns hilft, sondern hoffentlich auch anderen Vereinen mit ähnlichen Herausforderungen.

Informationen zum Landeskinderschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (NRW)

Nordrhein-Westfalen hat im Mai 2022 als erstes Bundesland ein Landeskinderschutzgesetz verabschiedet. Ziel ist es, die Jugendämter besser bei der Prävention von Kindeswohlgefährdung zu unterstützen und den Kinderschutz zu verbessern. Dazu gehören einheitliche Standards, bessere Zusammenarbeit zwischen Fachkräften sowie Schutzkonzepte und Fortbildungen. Außerdem sollen Kinder und Jugendliche stärker in Entscheidungen einbezogen werden, die ihre Lebenswelt und ihren Schutz betreffen.

Für Sportvereine gibt es aktuell (mit wenigen Ausnahmen, z. B. beim FSJ) keine gesetzliche Frist zur Umsetzung eines Schutzkonzeptes. Allerdings hat der Landessportbund NRW beschlossen, dass alle Mitgliedsorganisationen bis zum 31.12.2024 bestimmte Maßnahmen umsetzen müssen. Dazu gehören: Klare Positionierung & Verankerung des Kinderschutzes im Verein, Risikoanalyse zu möglichen Gefährdungen, Benennung einer Ansprechperson für Kinderschutz und Überprüfung der Mitarbeitenden, z. B. durch Einsichtnahme in das erweiterte Führungszeugnis und Unterzeichnung eines Ehrenkodex.

Damit soll der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Sport nachhaltig gestärkt werden. Weitere Infos unter: Umsetzung des Landeskinderschutzgesetzes I LSB NRW 

Wie seid ihr diesen Prozess angegangen? Wenn man sich neu mit dem Thema Schutzkonzept befasst, kann das ja sehr umfassend und vielleicht auch überwältigend sein. Wie habt ihr angefangen und habt ihr euch Unterstützung von außen geholt?

Katharina Höcker: Ja, wir haben uns externe Expertise geholt. Zunächst haben wir eine Risikoanalyse durchgeführt, um herauszufinden, wo in unserem Verein potenzielle Gefahren bestehen und wie wir darauf reagieren können. Zusätzlich haben wir Organisationen wie Pro Familia Bielefeld oder die Frauenberatungsstelle angesprochen, um uns Rat zu holen. Diese Organisationen kommen zwar nicht aus dem Sportbereich, hatten aber wertvolle Perspektiven, die uns enorm weitergeholfen haben. Solche Kooperationen helfen uns auch dabei, im Bedarfsfall die richtigen Ansprechpartner:innen zu kennen und Betroffene gezielt weitervermitteln zu können.

Die Umsetzung eines Schutzkonzeptes erfordert Zeit und Ressourcen. Was waren eure größten Herausforderungen und was würdet ihr anderen Vereinen empfehlen, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten?

Robin Roths: Eine große Herausforderung war der Mangel an bestehenden Netzwerken für Sportvereine, die sich intensiver mit Gewaltprävention befassen. Es ist sinnvoll, wenn Sportvereine, Jugendämter und Beratungsstellen eng kooperieren, um Wissen und Unterstützung zugänglicher zu machen. Gerade für ehrenamtlich geführte Vereine kann die Erstellung eines Schutzkonzeptes sehr aufwendig sein, hier sind hauptamtliche Strukturen oder externe Unterstützung notwendig, um das Thema langfristig anzugehen.

Ein Schutzkonzept ist mehr als eine formale Verpflichtung. Es gibt uns und unseren Teilnehmenden Sicherheit, setzt ein klares Zeichen nach außen und zeigt: Hier ist kein Platz für Gewalt.

Was sind eure nächsten Schritte?

Katharina Höcker: Unser Schutzkonzept ist nun offiziell vom Vorstand abgesegnet und wurde auf unserer Website veröffentlicht. Wir möchten damit nicht nur innerhalb unseres Vereins sensibilisieren, sondern auch nach außen ein klares Zeichen setzen: Gewalt hat bei uns keinen Platz! Wenn unser Schutzkonzept anderen Vereinen als Orientierungshilfe dienen kann, wäre das ein großer Erfolg. Darüber hinaus möchten wir unser Wissen in Schulen, Kitas und anderen Vereinen weitergeben, um das Thema Gewaltprävention weiter voranzutreiben.

5 zentrale Learnings aus der Arbeit von Bielefeld United

 

1. Multiprofessionelle Teams stärken die Präventionsarbeit
Die Zusammenarbeit von Fachkräften aus verschiedenen Ausbildungsbereichen ermöglicht eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Gewaltprävention. Unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen führen zu einem ganzheitlicheren Blick auf Herausforderungen und erleichtern es, präventive Maßnahmen gezielt und bedarfsgerecht anzupassen.

2. Beziehungsarbeit ist essenziell für nachhaltige Prävention
Vertrauen ist die Basis pädagogischer Arbeit und in der Gewaltprävention essenziell. Adressat:innen müssen sich sicher fühlen und die Möglichkeit haben, Konflikte oder Gewalterfahrungen in einem geschützten Rahmen offen ansprechen zu können. Dabei ist eine Beziehung auf Augenhöhe zentral, in der Anliegen und Emotionen ernst genommen werden. Fachkräfte und Trainer:innen sollten einen sicheren Raum schaffen, in dem Gefühle thematisiert werden können und sie als vertrauensvolle Ansprechpersonen zur Verfügung stehen.

3. Reflexionsphasen sind fester Bestandteil von Angeboten 
Bei Bielefeld United sind Reflexionskreise fester Bestandteil der Angebote. Sie helfen dabei, Situationen zu besprechen, Verhaltensweisen zu hinterfragen und Erfahrungen bewusst wahrzunehmen. Gespräche sollten daher nicht nur „nebenbei“ stattfinden, sondern gezielt in den Ablauf eingebunden werden, um Dialoge zu ermöglichen und die Kommunikation zu fördern. 

4. Ein Schutzkonzept ist mehr als eine Formalität – es schafft Sicherheit
Ein strukturiertes Schutzkonzept hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen und klare Handlungsstrategien zu entwickeln. Es sensibilisiert Trainer:innen und pädagogische Fachkräfte für mögliche Grenzüberschreitungen und gibt allen Beteiligten Orientierung. Die Erfahrung von Bielefeld United zeigt, dass gelebte Schutzkonzepte nicht nur Krisensituationen vorbeugen, sondern auch eine Kultur des Respekts und der Achtsamkeit fördern.

5. Kontinuierliche Weiterbildung ist der Schlüssel zur Qualitätssicherung
Gewaltprävention ist ein dynamisches Feld, das stetige Weiterentwicklung erfordert. Die regelmäßige Qualifizierung von Fachkräften und Übungsleitenden sorgt dafür, dass sie sicherer in herausfordernden Situationen agieren und auf aktuelle Entwicklungen, wie neue Formen digitaler Gewalt oder gesellschaftliche Veränderungen, reagieren können. Eine nachhaltige Gewaltprävention braucht geschulte Fachkräfte, die sich fortlaufend mit neuen Erkenntnissen und Methoden auseinandersetzen.

Weitere Links und Beispiele zum Thema Gewaltprävention & Schutzkonzepte:

Schutzkonzept I Bielefeld United

Fortbildung "Fachkraft für Gewaltprävention" I Heldenschmiede

Schutz vor Gewalt im Sport | Landessportbund Nordrhein-Westfalen e.V.

Inhalte Schutzkonzepte I Bundesregierung UBSKM

Schutzkonzept gegen Gewalt: Gewaltprävention und Umgang mit Gewalt I Caritas Regensburg

Leonie Endewardt ist Sozialarbeiterin und leidenschaftliche Sportlerin mit langjähriger Vereinserfahrung. Seit 2022 engagiert sie sich bei MOBILEE in den Bereichen Positionspapier, Social Media und interne Organisation und steht in engem Austausch mit dem Netzwerk, um vor allem Bedarfe aus der Praxis aufzunehmen. 

Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Gewaltprävention im Bereich „Soziale Arbeit mit Sport und Bewegung“, zu dem sie auch ihre Bachelorarbeit verfasste. In diesem Rahmen verantwortet sie die Gewaltpräventionsreihe im MOBILEE MAGAZIN.

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