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Glossar

von Peter Müller

Wertevermittlung im Fußball

Republikation aus Sport mit Courage - Sport, Werte und Politik

Auf den Fußballplätzen finden sich Menschen mit unter-schiedlichsten Persönlichkeiten aus allen Bevölkerungs-schichten. Herkunft, Bildung, Aussehen – die Bandbreite ist riesig. Eines haben alle gemeinsam: das Interesse an Fußball. So unterschiedlich die Lebensgeschichten sind, so verschieden sind auch die Verhaltensweisen und -normen auf dem Fußballplatz. Trainingsarbeit oder spieltaktische Schulungen ähneln sich. Wie Spieler:innen, Trainer:innen oder Zuschauer:innen miteinander umgehen, ist aber oft sehr unterschiedlich. Im zwischenmenschlichen Bereich agiert man in der Regel so, wie man es selbst gelernt hat. Die eigene Erziehungsgeschichte (Einflüsse von Eltern/Familie, Schule, Freund:innen, Verein/Mannschaft etc.) spielt hier eine große Rolle. Und hier kommen die Werte ins Spiel.

Doch wie lassen sich Werte in der Vereinsarbeit vermitteln? Erstens müssen Werte überhaupt einmal definiert sein. Das passiert in der Regel über ein von der Vereinsführung (idealerweise mit allen Leitungsfunktionen) erarbeitetes Leitbild, das die Kultur des Vereins prägen sollte (hieran mangelt es oft schon in den Vereinen). Zweitens muss etwas dafür getan werden, damit jedes Vereinsmitglied – vom Vorsitzenden bis zum:r Spieler:in – diese Werte verinnerlicht.

Über den Autor

Als selbstständiger Trainer, Coach, Mediator und Psychotherapeut (Heilpraktiker beschränkt auf Psychotherapie) unterstützt Peter Müller Menschen dabei, zwischenmenschliche Beziehungen konstruktiv zu gestalten und Persönlichkeit zu entwickeln. Als Berater und Konfliktmanager unterstützt er seit 2003 u.a. den Hessischen Fußball-Verband. Ob in der Führungskräfteentwicklung, im Konfliktmanagement oder in der Teamentwicklung – für ihn steht immer ein wertegeleitetes Miteinander im Vordergrund.

Respekt zu leben heißt z. B., sich innerhalb des Teams zu respektieren, wie auch den:die Gegner:in und den:die Schiedsrichter:in. Sichtbar wird das z. B. darin, dass der Konkurrenzkampf zwischen Spieler:innen mit fairen und nicht mit unfairen Mitteln ausgefochten wird. Oder dass man bei einem Sieg den:die Gegner:in „abklatscht“ und ihn/sie nicht verhöhnt. Und dass Schiedsrichter:innenentscheidungen akzeptiert werden.

Werte in Bezug auf Vielfalt und Gleichberechtigung zeigen sich in einer klaren Haltung und der Abgrenzung zu rassistischem Verhalten oder jeglicher anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Entwickeln können sich solche Werte durch das Vorleben der Personen, die als Vorbilder dienen (z. B. Trainer:innen).

Wenn ein:e Trainer:in (früher als „normal“ geltende) Äußerungen tätigt wie: „Was hast du da wieder für einen schwulen Ball gespielt“ oder „du bewegst dich wie eine Schw…!“, so zeigt sich in der Sprache auf dem Fußballplatz eine Haltung, die eine Kultur repräsentiert, die weder menschenrechtskonform, noch im Rahmen des Antidiskriminierungsgesetzes zu akzeptieren ist, und als Vorbild dient sie schon gar nicht. Die in den genannten Beispielen gelebte Homophobie ist den handelnden Personen oft selbst nicht bewusst. Und die unbewusste Übernahme solch einer Kultur (durch Jugendspieler:innen, neue Vereinsmitglieder etc.) kann somit zu weiterer unbewusster (und oft auch ungewollter) Diskriminierung führen.

Wie also setzt man Werte um? Ein positives Beispiel aus meiner Praxis als Konfliktmanager im Rahmen der Sozialstiftung des Hessischen Fußball-Verbands (HFV): Ein Verein wurde aufgrund immer wiederkehrender Verfehlungen (gravierende Fälle mit erheblichem Gewaltpotenzial und Körperverletzungen, Regelverletzungen von Funktionären u. a.) sechs Monate komplett für den Spielbetrieb gesperrt. Mit einer Auflage zu einem Konflikttraining bekam der Verein die Chance, seine Sperre zu reduzieren. Aus einem Termin wurden auf Wunsch des Vereins mehrere Termine über einen längeren Zeitraum. Eine konsequente Arbeit an der Wertehaltung und Kultur des Vereins, in der sich alle Verantwortlichen – vom Vorstand bis zum Trainer und den Spielern – bereit erklärten, etwas zu verändern, sorgte dafür, dass der Verein über eine komplette Saison nur noch positiv von sich reden machte. So konnte ich mit der Mannschaft am Teamgeist arbeiten. Verschiedene Teamübungen mit anschließender Reflexion lösten Aha-Erlebnisse aus, die auch einen Lerneffekt hatten. Das Entwickeln von (innerer) Teamstärke und -selbstbewusstsein sorgte dafür, nach außen ruhiger, sicherer und weniger eskalierend aufzutreten. Der Vorstand trennte sich von uneinsichtigen Spielern und stellte klare Regeln auf. Das Verhalten vor, während und nach dem Spiel wurde unter Fair-Play-Gesichtspunkten definiert. Zuschauer:innen wurden durch das Austeilen von Flyern während der Spiele auf Fair-Play-Regeln aufmerksam gemacht. Die sichtbare Veränderung sorgte für Anerkennung von außen (durch andere Vereine, Verband und Schiedsrichter:innen), was die Vereinsmitglieder wiederum bestärkte.

Das Beispiel unterstreicht, dass eine gezielte Kulturentwicklung anhand eines Leitbildes und klarer Regeln hilft, ein werteorientiertes Miteinander auf dem Fußballplatz zu steuern. Was ist aber mit der Nachhaltigkeit? Es nützt nichts, einmal etwas zu entwickeln, was nicht stabil gegenüber der Fluktuation von Funktionär:innen und Spieler:innen gehalten werden kann. Im vorgenannten Beispiel kam es nach der Sommerpause zu einem antisemitischen Vorfall von Seiten eines Spielers, der für die neue Saison geholt wurde. Es stellte sich heraus, dass er in Bezug auf die im Verein geltenden Werte und Regeln nicht ins Boot geholt worden war. Als ich nach dem Vorfall mit der Mannschaft erneut zusammensaß, konnte ich allerdings feststellen, dass ohne großes Zutun von meiner Seite die etablierten Spieler aus Überzeugung dem Neuen vermittelten, was „hier geht und was nicht geht“.

Ein weiteres Beispiel aus meiner Mediatoren-Tätigkeit beim HFV: Ein Verein wurde verurteilt, weil es einen Vorfall gab, in dem sich ein Spieler antisemitisch gegenüber einem Spieler eines jüdischen Vereins äußerte. Im Rahmen meiner Arbeit mit der Mannschaft – es handelte sich um eine A-Jugend – besuchten wir u. a. das „Lernlabor“ der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, in dem man innerhalb einer Ausstellung interaktive Erfahrungen mit den Themen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung machen kann. Die Spieler zeigten sich interessiert und nahmen an den Angeboten teil. In der abschließenden Reflexionsrunde gab es dann folgende Äußerung eines Spielers: „…aber es ist doch so, dass den Juden alles gehört und dass sie mit ihrem Geld alles kontrollieren!“ Dieses Beispiel ist nur eins von vielen, das deutlich macht, dass Vorurteile in der Regel tief verwurzelt sind und es Zeit braucht, über Erfahrungen und gezielte Werteorientierung ein Umdenken in der Gesellschaft zu erreichen.

Als praktische pädagogische Ansätze bieten sich folgende Möglichkeiten an: Zu Saisonbeginn können alle Trainer:in mit dem eigenen Team ein „Werteplakat“ erstellen. Die Spieler:nnen sollen dabei selbst die Werte erarbeiten, an denen sie sich orientieren wollen. Der:die Trainer:in unterstützt durch Erläuterungen und Erklärungen zu Werten und deren Bedeutung. Im Anschluss werden aus den Werten konkrete Regeln abgeleitet, die für das Team auf dem Sportgelände gelten. Hier kann es z. B. um das Verhalten vor, während und nach einem Fußballspiel gehen. Auf einem Plakat wird das Ganze sichtbar platziert (z. B. in der Kabine an der Wand). Neben der Umsetzung der Werte wird durch diese Übung den Spieler:innen auch Verantwortung für ihr Handeln übertragen.

Übungen zur Umsetzung

Des Weiteren besteht die Möglichkeit, immer mal wieder eine Trainingseinheit mit Teamübungen zu ergänzen, die das Ziel haben, Werte zu verdeutlichen. Hier ein paar Beispiele:


Übung „Fallen lassen“:
Ein:e Mitspieler:in lässt sich nach hinten fallen und wird von einer:m anderen Mitspieler:in aufgefangen. Alternativ: Ein:e Mitspieler:in in der Mitte eines Kreises von ca. 150 cm lässt sich in eine Richtung fallen und wird von den anderen Gruppenmitgliedern aufgefangen und wie ein Kreisel oder Pendel in eine neue Richtung „geschubst“, „weiterbewegt“. Ziel: Vertrauen, Rücksichtnahme und sanfte Behandlung der Gruppenmitglieder.


Übung „Teppich wenden“: 
Alle Teilnehmer:innen stehen auf einem Teppich (Bettlaken, Pinnwandpapier). Ziel ist es, den Teppich zu wenden, ohne dabei den Boden zu berühren. Ziel: Kommunikation und Kooperation, Vertrauen, aufeinander verlassen, gegenseitig unterstützen.


Übung „Zusammen aufstehen“: 
Alle Teilnehmer:innen sitzen in einem Kreis mit Blick nach außen. Dabei haken sie sich ganz eng mit den Armen ein. Die Aufgabe lautet, gemeinsam aufzustehen, ohne dabei den Kreis zu lösen. Ziel: Kommunikation und Kooperation, aufeinander verlassen, gegenseitig unterstützen.

Wichtig ist bei den Übungen, immer eine gemeinsame Auswertung vorzunehmen, um die Wirkweise der Werte bewusst zu machen.

Hier noch ein ganz konkretes Beispiel (mit Handlungsempfehlungen für Trainer:innen), das auch die gesellschaftliche Auswirkung von Wertearbeit deutlich macht: Ein Junge, der als Geflüchteter nach Deutschland kam und sich Ihrer Mannschaft angeschlossen hat, wird ausgegrenzt.

 

 

 

 

 

1 Fisher & Ury, 1984. 

2 Rosenberg, 2013.

Mögliche Vorgehensweise: Beobachten Sie als Trainer:in genau, wie sich das Team ihm gegenüber verhält. Geben Sie den ausgrenzenden Spieler:innen konkrete Rückmeldung über Ihre Beobachtungen. Erinnern Sie an Teamwerte und -regeln. Beziehen Sie den Jungen in Team- und Trainingsübungen mit ein. Sprechen Sie in der Spieler:innensitzung den Teamgedanken immer wieder an. Wenn Einzelne den Jungen ausgrenzen, sprechen Sie unter vier Augen mit ihnen und kritisieren Sie – hart in der Sache, wertschätzend zur Person1 – unter Anwendung von Feedback-Regeln2. Gehen Sie ggf. mit allen Beteiligten gemeinsam ins Gespräch. Fordern Sie konstruktives Teamverhalten ein. Sie können in der Spieler:innensitzung anerkennende Worte über den betroffenen Jungen formulieren, um seinen Stellenwert im Team dadurch zu erhöhen.

Auf dem Fußballplatz kommen die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen zum Ausdruck. Hier können Vereine durch Fairplay gesellschaftspolitischen Einfluss nehmen und dafür sorgen, dass Diskriminierung, Rassismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie u. ä. kategorisch unterbunden werden und keinen Raum mehr in unserer Gesellschaft finden.

Welche Voraussetzungen sind nötig? Gegebenenfalls brauchen Übungsleiter:innen und Funktionär:innen neben der fußballtaktischen Ausbildung auch Schulungen zur Kompetenzerweiterung in Sachen soziale/emotionale/persönliche Kompetenz, um ihrer Vorbildrolle gerecht werden zu können. Die Fußball-Landesverbände bieten solche Schulungen bereits an.

Grundsätze, die jedem Fußballverein im Erarbeiten eines Leitbildes hilfreich sein können:

  • Gewaltvermeidung und das Unterbinden gruppen-bezogener Menschenfeindlichkeit muss wichtiger sein als sportlicher Erfolg!
  • Respekt zeigen. Nach außen und innen
  • Regeln müssen klar sein und verbindlich nachgehalten werden!

Abschließend noch ein paar konkrete Handlungsempfehlungen:

Trainer:innen sorgen für die innere Stärke und Robustheit ihrer Mannschaft, wenn sie jede einzelne Persönlichkeit, jede:n Spieler:in stärken und ihm:ihr Vertrauen entgegenbringen und somit Selbstvertrauen aufbauen. Dies führt dazu, dass auf den Fußballplätzen das Konfliktpotenzial reduziert wird. Herabsetzung (Beschimpfung etc.) anderer hängt in der Regel mit mangelndem Selbstwertgefühl der handelnden Person zusammen. Es sind die Dinge, die auch außerhalb der Vereine in unserer Gesellschaft oft zu kurz kommen: zuhören, Interesse zeigen, Wertschätzung und Lob aussprechen sowie insgesamt einen höflich-respektvollen Umgang miteinander pflegen. Konflikte entstehen nur dort, wo Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Und jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Achtung und Anerkennung. Wenn alle Beteiligten neben der Berücksichtigung eigener Bedürfnisse auch die Bedürfnisse anderer im Blick haben und das Ganze in Balance halten, so kann das gesellschaftliche Miteinander positiv gestaltet werden.

#fußball #wertevermittlung

Literaturverzeichnis

Fisher, R. & Ury, W. (1984). Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik. Frankfurt am Main/New York: Campus-Verlag.

Rosenberg, M. B. (2013). Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn: Junfermann

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